Eine Ode an die Besitzlosigkeit

Eines meiner mich bewegendsten Gedichte überhaupt. Großartige Inspiration, tolle Einsicht, starker Antrieb – von Jacopone da Todi.

Armuth geht auf sichren Wegen,
Nicht um Streit und Groll verlegen;
Fürchtet nicht der Diebe wegen,
Noch daß Sturm verdirbt ihr Kleid.

Armuth, ruhig bis zum Ende,
Sorget nicht um Testamente,
Läßt die Welt, wie sie sich wende,
Thut nicht Einem was zu Leid.

Braucht nicht Richter, noch Notare,
Schleppt zur Hauptstadt nicht das Baare,
Lächelt bei des Geizigen Waare,
Die ihm so viel Sorg’ bereit’t.

Armuth, Herrin voll Erbarmen,
Retterin du im Verarmen,
Tugend ruht in deinen Armen,
Wohnet da in Sicherheit.

Edle Armuth, hehres Wissen,
Keinem Dinge dienen müssen,
Mit Verachtung Alles missen,
Was geschaffen in der Zeit.

Wer verachtet sein Besitzen,
Kann erst das Besitzthum nützen,
Fühlt sein Fuß des Dornes Spitzen,
Wandelt er nicht weiter heut.

Wer noch wünscht, ist Knecht der Habe,
Ist verkauft um liebe Gabe;
Wer da denkt, daß er sie habe,
Der hat doch nur Eitelkeit.

Gott kommt nicht zum Herz gegangen,
Das im Ird’schen eng befangen;
Armuth ist so groß Umfangen,
Daß sie Raum der Gottheit beut.

Armuth ist das: Nichts zu haben,
Keinem Schatz mehr nachzugraben,
Zu besitzen alle Gaben,
In der Freiheit Herrlichkeit.

Jacopone da Todi